Sachverhalt des BAG-Urteils zur Wahrung einer tariflichen Ausschlussfrist bei Lohnforderung 

Dem Urteil des BAG (Bundesarbeitsgerichts) vom 03.05.2023 (Aktenzeichen: 5 AZR 268/22) lag folgender Sachverhalt zugrunde: 

Der Kläger war vom 18. März bis 6. Juni 2019 als Malerhelfer beim Beklagten beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis fand der allgemeinverbindliche Rahmentarifvertrag für die gewerblichen Arbeitnehmer im Maler- und Lackiererhandwerk Anwendung, der eine zweistufige Ausschlussfrist enthält. 

Ausschlussfristen können entweder im Arbeitsvertrag oder in einem anwendbaren Tarifvertrag enthalten sein. Sie treffen Regelungen darüber, bis wann ein Anspruch geltend gemacht werden muss, bevor er verfällt. Bei einer zweistufigen Ausschlussfrist ist in der Regel in der ersten Stufe eine Frist vorgesehen, bis wann der Anspruch außergerichtlich geltend gemacht werden muss. In der zweiten Stufe ist dann eine weitere Frist vorgesehen, bis zu welcher der Anspruch im Anschluss auch gerichtlich geltend gemacht werden muss.

So lag der Fall auch hier: Gemäß § 49 Ziff. 1 des RTV (Rahmentarifvertrags) mussten Ansprüche in der ersten Stufe spätestens zwei Monate nach Fälligkeit außergerichtlich geltend gemacht werden. Gemäß § 49 Ziff. 2 des RTV musste dann in der zweiten Stufe ein Anspruch auch gerichtlich binnen weiterer zwei Monate geltend gemacht werden, und zwar für den Fall, dass der Arbeitgeber sich außergerichtlich entweder nicht zu dem erhobenen Anspruch geäußert hatte oder diesen abgelehnt hatte.

Für Mai 2019 erstellte der Beklagte auf Aufforderung des Klägers eine Lohnabrechnung, zahlte das geschuldete Gehalt jedoch nicht aus, sondern erklärte die Aufrechnung mit einem von ihm behaupteten Schadensersatzanspruch.

Der Arbeitnehmer erhob daraufhin erst am 21. Februar 2020 Klage beim Arbeitsgericht auf Zahlung des in der Lohnabrechnung ausgewiesenen Gehalts nebst Zinsen.

Dass der Anspruch des Klägers auf Vergütung für den Monat Mai 2019 entsprechend der vom Beklagten erteilten Lohnabrechnung grundsätzlich entstanden war, ist zwischen den Parteien unstreitig gewesen. Der Arbeitgeber wandte gegen den Anspruch aber ein, der Kläger habe durch grob fahrlässige Arbeit Fenster beschädigt und müsse deshalb Schadensersatz leisten; außerdem sei der Lohnanspruch wegen nicht rechtzeitiger gerichtlicher Geltendmachung nach der tariflichen Ausschlussfrist verfallen.

Entscheidung des BAG zur Wahrung einer tariflichen Ausschlussfrist bei Lohnforderung 

Der Beklagte ging selbst davon aus, der Kläger habe seinen Anspruch auf Vergütung für den Monat Mai 2019 innerhalb der Frist des § 49 Nr. 1 RTV, also der ersten Stufe der Ausschlussfrist, schriftlich erhoben. Unabhängig davon war zwischen den Parteien unstreitig, dass der Beklagte dem Kläger innerhalb des für die erste Stufe der tariflichen Ausschlussfrist vorgesehenen Zeitraums mit Schreiben vom 20. Juni 2019 für den Monat Mai 2019 eine Lohnabrechnung erteilt hatte. Mit der Lohnabrechnung hat der Beklagte das darin ausgewiesene Gehalt unstreitig gestellt. Einer weiteren Geltendmachung auf der ersten Stufe bedarf es in einem solchen Fall selbst dann nicht, wenn der Arbeitgeber die Forderung später bestreitet.

Der Anspruch ist auch nicht nach § 49 Nr. 2 RTV, der zweiten Stufe der Ausschlussfrist, verfallen. Der Kläger musste deshalb zur Vermeidung eines Verfalls seinen Anspruch auf den vom Beklagten in der Lohnabrechnung für Mai 2019 ausgewiesenen Lohn nicht innerhalb der in der Tarifnorm vorgesehenen Frist auch gerichtlich geltend machen.

Denn die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 49 Nr. 2 Satz 1 RTV liegen nicht vor: Die Tarifnorm knüpft auf der zweiten Stufe der Ausschlussfrist die Notwendigkeit einer gerichtlichen Geltendmachung an die Voraussetzung, dass der Anspruchsgegner – hier also der Arbeitgeber – den Anspruch schriftlich ablehnt oder sich nicht innerhalb von zwei Wochen nach der Geltendmachung des Anspruchs schriftlich erklärt. 

Hier hat der Beklagte aber den Anspruch nicht abgelehnt, sondern durch die Lohnabrechnung anerkannt und lediglich die Aufrechnung mit einem behaupteten Schadensersatzanspruch erklärt. Einer ´gerichtlichen Klärung der nach Grund und Höhe unstreitigen Lohnforderung bedarf es in einem Fall wie diesem grundsätzlich nicht: Mit der Aufrechnung hat der Beklagte den Lohnanspruch des Klägers nicht geleugnet, sondern lediglich behauptet, einen Gegenanspruch abziehen („aufrechnen“) zu können. Damit hat der Arbeitgeber aber der Argumentation des BAG zufolge gleichzeitig bekräftigt, dass der Lohnanspruch des Klägers für Mai 2019 in der von ihm abgerechneten Höhe entstanden war, denn sonst hätte er davon auch nichts abziehen können. Im Übrigen war gerade der Gegenanspruch, nämlich der vermeintliche Schadensersatzanspruch des Arbeitgebers, bereits verfallen und konnte daher letztendlich nicht mehr verrechnet werden.

Eine Aufrechnung ist also keine Anspruchsablehnung, sondern setzt den zuerst bestehenden Anspruch gerade voraus. Der Kläger konnte daher auch nach Ablauf der tariflichen Klagefrist seinen Lohn einklagen.

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