Sachverhalt des BAG-Falls zur Kündigung wegen Kirchenaustritts
Dem Beschluss des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom 01.02.2024 (Az.: 2 AZR 196/22) lag folgender Sachverhalt zugrunde:
Die Klägerin war bei dem Beklagten, einem Frauen- und Fachverband der katholischen Kirche, seit 2006 als Sozialpädagogin in der Schwangerschaftsberatung tätig. Die Klägerin erklärte einige Jahre später den Austritt aus der katholischen Kirche, woraufhin eine Kündigung von dem beklagten Verein folgte. Dieser kündigte das Arbeitsverhältnis außerordentlich ohne Einhaltung einer Frist, hilfsweise ordentlich, nachdem ein zuvor unternommener Versuch, die Klägerin zu einem Wiedereintritt in die katholische Kirche zu bewegen, scheiterte.
Zum Zeitpunkt der Kündigung beschäftigte der Beklagte in der Schwangerschaftsberatung vier Arbeitnehmerinnen, wovon zwei der katholischen Kirche und zwei Arbeitnehmerinnen der evangelischen Kirche angehörten.
Als Grund für den Kirchenaustritt gab die Klägerin an, dass die Diözese Limburg ein besonderes Kirchengeld – zusätzlich zur staatlichen Kirchensteuer – von Personen erhebe, die – wie die Klägerin – mit einem gut verdienenden Ehepartner in einer „glaubensverschiedenen Ehe“ leben. An ihren christlichen Werten habe sich durch den Austritt nichts geändert.
Der beklagte Verein ist anderer Ansicht. Ihm fehle aufgrund des Austritts aus der katholischen Kirche das Vertrauen in die Klägerin, dass diese sich an die Lehre der katholischen Kirche noch gebunden fühle. Durch den aktiven Austritt aus der katholischen Kirche hätte die Klägerin nach außen zu erkennen gegeben, dass sie mit der katholischen Kirche nichts mehr zu tun haben wolle.
Beide Vorinstanzen, das Arbeitsgericht Wiesbaden (ArbG Wiesbaden, Urt. v. 10.06.2020, Az. 2 Ca 288/19) und das Landesarbeitsgericht Frankfurt (LAG Frankfurt, Urt. v. 01.03.2022, Az. 8 Sa 1092/20), haben der Kündigungsschutzklage stattgegeben und die Ansicht der Klägerin bekräftigt. Das LAG hat den Beklagten darüber hinaus zur Zahlung einer Entschädigung wegen Diskriminierung verpflichtet. Der Beklagte legte daraufhin Revision ein und zog vor das Bundesarbeitsgericht.
Rechtliche Bedeutung des Kirchenaustritts und potenzieller Kündigungsgrund
Ein Kirchenaustritt ist nach deutschem Recht eine zulässige Beendigung der staatlich registrierten Kirchengemeinschaft. Mit dem Verzicht auf die Mitgliedschaft in der Kirche verliert eine Person das Recht, Sakramente zu empfangen, kirchliche Ämter zu bekleiden, Tauf- oder Firmpate zu sein, Mitglied von pfarrlichen oder diözesanen Räten zu werden oder diese zu wählen sowie Mitglied in öffentlichen kirchlichen Vereinen zu sein.
Ein Kirchenaustritt wird nicht nur mit einer Distanzierung von der Kirche verbunden, sondern rechtfertigt nach Ansicht der Kirche sogar eine Kündigung. Aus Sicht der Kirche ist mit einem Austritt ein Verlust der notwendigen kirchlichen Werte verbunden, die die Grundlage des Arbeitsverhältnisses bilden.
In der „Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse“ werden sogenannte Loyalitätsobliegenheiten der Mitarbeiter geregelt. In den arbeitsrechtlichen Ordnungen der Kirchen wird der Kirchenaustritt als schwerwiegender Verstoß angesehen, der eine Kündigung begründen kann. So nennt Artikel 7 der Grundordnung (GO) der katholischen Kirche den Austritt als kündigungsrelevanten Verstoß. In der evangelischen Kirche ist gemäß § 5 der Loyalitätsrichtline (Loyalitäts- RL) ein weiterer Dienst eines ausgetretenen Mitarbeiters nicht vorgesehen.
Rechtliche Grenzen durch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG)
Auch kirchliche Arbeitsverhältnisse unterliegen trotz dieser Loyalitätsanforderungen den allgemeinen gesetzlichen Bestimmungen des Kündigungsschutzrechts. Insbesondere unterliegen kirchliche Arbeitsverhältnisse dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG), welches den Schutz der Arbeitnehmer vor Diskriminierung regelt.
Eine Kündigung aufgrund des Kirchenaustritts kann daher als unzulässige Benachteiligung wegen der Religion angesehen werden (§ 1 AGG in Verbindung mit § 7 Abs. 1 AGG.) Eine Benachteiligung wegen der Religion oder Weltanschauung ist gemäß § 9 AGG nur ausnahmsweise zulässig, wenn Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaften oder ihnen zugeordnete Einrichtungen bei der Stellenbesetzung eine bestimmte Religion oder Weltanschauung verlangen können.
Diese Ausnahme greift jedoch nicht bei der Auswahl von Bewerbern um Stellen, die für die Verbreitung der Religion oder Weltanschauung keine Bedeutung haben, d.h. für berufliche Positionen in sogenannten „verkündungsfernen“ Bereichen. Bei der Einstellung einer Sozialarbeiterin, wie im vorliegenden Fall, oder zum Beispiel einer Pflegekraft, können aus diesem Grund auch kirchlich gebundene Arbeitgeber grundsätzlich keinen Unterschied zwischen Bewerbern mit der „richtigen“ oder der „falschen“ Religion machen. Anders liegt der Fall bei verkündungsnahen Beschäftigungen, zum Beispiel bei einem Pfarrer.
Benachteiligung wegen der Religion – Vorlage zum EUGH:
Der Zweite Senat des Bundesarbeitsgerichts hat das Verfahren über die Revision des Beklagten ausgesetzt und dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) die Beantwortung von Fragen zur Auslegung des Unionsrechts vorgelegt. Es soll geprüft werden, ob eine Ungleichbehandlung von Beschäftigten aufgrund des Kirchenaustritts mit dem Europarecht vereinbar ist.
Der EuGH ist zuständig für die Anwendung und Auslegung von europäischem Recht. Dabei entscheidet zwar der EuGH nicht unmittelbar über den Fall, die Richterinnen und Richter befassen sich aber mit der Frage, ob eine Ungleichbehandlung eines Arbeitnehmers durch einen Kirchenaustritt vom AGG gedeckt und gerechtfertigt sein kann. Die nationalen Gerichte sind dann an die Rechtsauslegung des EuGH gebunden.
Kompetente Beratung durch Fachanwälte für Arbeitsrecht
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